Safety II: ein deutliches Mehr an Flugsicherheit für den Flugplatz Melle
Methoden und Resultate des FLYTOP-Vereins-Kurses
für das FLYTOP Team: Barbara Hofer, Herber Lehner und Prof Dr. Alfred Utsch


Die beiden am Flugplatz Melle ansässigen Vereine, SFC Melle Grönegau und Aero Club Bünde, haben bislang zur Verhütung von Unfällen beim Fliegen (Flugsicherheit) versucht ihr Möglichstes zu tun. Dazu gehörten vor allem eine gute Ausbildung, vorsichtiges, defensives Verhalten sowie die Einhaltung aller Regeln, Vorschriften und Gesetzte. Fachleute der Sicherheitswissenschaft (Safety Science) nennen diese Methoden zusammengefasst „Safety I“ oder auch reaktive, statische Flugsicherheit. Darüber hinaus wurden sog. Vertrauenspiloten eingeführt. Diese haben ein Meldesystem gestartet bei dem Piloten Vorfälle oder andere sicherheitsbedrohende Ereignisse melden konnten. Sie gaben regelmäßig ein Sicherheits-Bulletin heraus. Laut Safety Science ist bei solchen Meldesystemen im Luftsport leider zu erwarten: nach einem anfänglichen guten Start gehen nur noch sehr wenige Meldungen ein. Den Vertrauenspiloten, und insbesondere ihrem Sprecher Dieter Kammann, wurde bewusst, dass der Flugplatz Melle mit all diesen Maßnahmen auf dem derzeitigen Risikoniveau des Segelflugs / Motorflugs im Luftsport verbleiben würde. Werden die Startzahlen des Bundesamtes für Statistik mit den Unfallzahlen des BFU kombiniert ergeben sich diese Risikozahlen:

23 melle risk segelflug.jpg

23 melle risk motorflug

Dies bedeutet, dass am Flugplatz Melle rein statistisch alle 3 Jahre ein Unfall zu erwarten ist. Dies wollten die Vertrauenspiloten (Safety Team) nicht hinnehmen und suchten nach Verbesserungsmöglichkeiten. In der Tat gibt es einen Ansatz der eine deutliche Risikominderung um mindestens den Faktor 10 im Motor- und Segelflug erwarten lässt: die Einführung der Sicherheitsmethode Safety II. Safety II wurde von der kommerziellen Luftfahrt entwickelt und mit dem Beschluss der internationalen Luftfahrtorganisation  (ICAO) von 2013 für alle Organisationen, die Luftfahrt betreiben, weltweit eingeführt [1]. Im Segelflug wurde bereits nachgewiesen, dass die Methoden der Safety II das Risiko auch im Luftsport deutlich senken können [2].

Bei der Suche nach Möglichkeiten Safety II auch für die Vereine, Flugschulen und privaten Flugzeughalter in Melle einzuführen wurde das Safety Team auf das Kurssystem FLYTOP von Prof. Dr. Alfred Ultsch aufmerksam. FLYTOP hat im Jahr 2022 den Preis für Flugsicherheit von der International Scientific and Technical Soaring Organisation (OSTV) erhalten [3]. Es bietet insbesondere Ausbildungen für Vereine an, mit denen die Sicherheit nachhaltig verbessert werden können. Da hier die Sicherheitskultur dieser Organisationen in Richtung Flugsicherheit geändert werden muss, ist jedoch Voraussetzung für die Kurse, dass möglichst alle Piloten an einem solchen Vereinstraining teilnehmen. FLYTOP Vereinskurse können nur stattfinden, wenn mindestens 80% der Piloten der jeweiligen Organisation und auch 98% der Funktionäre (Vorstände Fluglehrer etc.) daran teilnehmen. Werden diese Zahlen nicht erreicht, findet das Training nicht statt.

Am 18.3.2023 war es soweit. Durch intensive Überzeugungsarbeit des Safety Teams gelang es, die erforderlichen Teilnehmerzahlen zu erreichen, so dass ein Training mit mehr als 100 PilotInnen, FluglehrerInnen und FlugschülerInnen zu Stande kam. Eine wesentliche Methode von Safety II ist die Einführung eines Sicherheits-Managements-Systems (SMS). Der Kurs führte die Teilnehmer in einzelnen gut strukturierten Gruppenarbeiten und Aufgabenstellungen zum selbst Bearbeiten durch einen Arbeitszyklus eines Solchen SMS. Zunächst lernten die Teilnehmer wie eine aktive, geplante und strukturierte Suche nach sicherheitsrelevanten Beobachtungen (SRB) in Melle stattfinden kann. Alle Piloten machten sich auf, die Defekte in den Sicherheitsnetzen = Löcher in den Käsescheiben im Sicherheitsmodell von James Reason zu finden.

 23 melle cheese

Berechnungen der Sicherheitswissenschaft ergeben, dass, um das o.g. Risiko zu erreichen, rein statistisch über 2000 solcher Löcher im Sicherheitssystem in Melle sind. Empirische Beobachtungen in mehr als 50 FLYTOP Trainingskursen haben ergeben, dass eine Organisation unter sachkundiger Anleitung durch ausgebildete Sicherheitstrainer (Safety Coaches) im Idealfall so viele Löcher in den Käsescheiben in einer Flugsaison finden kann, die 10% der Startzahlen der Saison entsprechen. Unter Anleitung des FLYTOP Teams, Barbara Hofer, Herbert Lehner und Alfred Ultsch konnten in Melle 320 Löcher gefunden werden. Dies entspricht ca.6% der jährlichen Startzahl und ist als ein Ergebnis im guten Mittelfeld zu werten. Siehe den linken blauen Punkt im Bild „Sicherheit am Flugplatz Melle“. Die aktive und professionell geplante und durchgeführte Suche nach SRB ist nur der erste Schritt in einem SMS. Der nächst wichtige Schritt ist die Ableitung von konkreten Projekten aus diesen SRB, welche die Sicherheit auch messbar verbessern können. Unter solchen Projekten – im Käsescheiben-Modell „Deckel auf Löcher“. ist eine sicherheits-erhöhende Maßnahme am Flugplatz zu verstehen, die noch während des FLYTOP Kurses, mit einem Projektleiter, Mitarbeitern, einem Zeitplan und Controllern ausgestattet wird. Sehr gute Organisationen schaffen es, jährlich mehr als 10 solcher Sicherheitsprojekte, welche messbar die Flugsicherheit am Flugplatz erhöhen können, auf den Weg zu bringen. Den Safety Coaches von FLYTOP gelang es 16 solcher Projekte auf den Weg zu bringen. Insbesondere konnten für die Arbeit an diesen Projekten PilotInnen gewonnen werden, die nicht bereits Funktionen im Verein, wie z.B. Vorstand, Fluglehrer oder Vertrauens-PilotIn innehaben.

Mit diesen beiden Schlüsselzahlen (Key Safety Perfomance Indikatoren) kann gemessen werden wie die Sicherheitsmaßnahmen am Flugplatz Melle einzuschätzen sind. Dem Bild unten kann entnommen werden dass, wenn die Projekte auch tatsächlich umgesetzt werden, mit dem ersten SMS Arbeitszyklus in Melle ein sehr gutes Niveau erreicht werden kann.


23 melle baro

 

Sicherheitswissenschaftliche Erkenntnisse haben bei Luftfahrt-Organisation gezeigt, dass ein zentrales und wichtiges Element der Sicherheits-Kultur der Umgang miteinander (Crew Ressource Management CRM) sowie der Faktor Mensch ( Human Faktors) sind. Die Safety Coaches von FLYTOP haben hierzu die PilotInnen, sowohl in Kommunikation wie auch CRM und HF aus- und weitergebildet. Ein wichtiges Ausbildungsziel ist dabei der Umgang mit Fehlern (HF). Safety II akzeptiert, dass PilotInnen trotz bestem Training und äußerster Anstrengung immer wider Fehler machen werden. Wie diese Fehler so zu nutzen sind, dass sie zu einer Verbesserung der Sicherheitsnetze dienen, und somit als Sicherheits-Ressource anzusehen sind, wurde in der Praxis erlernt.

23 melle foto


CRM für den Luftsport

Crew Ressource Management (CRM) ist eine der Schlüsselmethoden der Safety II in der kommerziellen Luftfahrt. Was kann Crew Ressource Management bei PilotInnen sein, die überwiegend alleine in Segel-, UL- oder Motorflugzeugen sitzen? CRM bedeutet, dass der Pilot in Command insbesondere die Zuarbeit und Hilfe seiner Crew verwenden sollte. Im Luftsport sind unter der „Crew“ auch die Vereinskameraden zu verstehen. Somit wird im Luftsport aus Crew Ressource Management ein Club Ressource Management (CRM). CRM bringt einen Zugewinn an Flugsicherheit, wenn Piloten in den sog. nicht-technischen Fertigkeiten ausgebildet werden. Wenn es im zwischenmenschlichen Bereich stimmt, kann die Flugsicherheit deutlich verbessert werden. Hat nicht jeder schon mal einem Vereinskameraden gesagt, dass es besser wäre heute nicht zu Fliegen, weil bei so viel beruflichem Stress nur ein „halbes Gehirn“ für die Flugaufgabe zur Verfügung steht. Oder umgekehrt: wenn es im Verein nicht stimmt, wenn man sich am Flugplatz nur ärgern muss oder gar streitet, führt das klar zur Verminderung der Flugsicherheit.

Das FLYTOP Training verwendet hierfür gezielt eine auf einander aufbauende Folge von Gruppenarbeiten bei denen zunehmend mehr an zwischenmenschlicher Kommunikation, Kooperation, Führungsverhalten und  Entscheidungsfindung eingeübt werden. Als „Nebeneffekt“ haben die Teilnehmer mit Personen produktiv zusammengearbeitet, die sie vor dem Training kaum gekannt haben. Den Teilnehmerinnen wurde klar, dass durch eine gute Zusammenarbeit der und in den Vereinen ein in die Praxis umsetzbares Mehr an Flugsicherheit gewonnen werden kann.


Nachhaltigkeit

Um die Verbesserung der Flugsicherheit nicht nur an einem Trainingstag, sondern nachhaltig in Melle zu machen, wurde am Training beschlossen, ein Grundsatzprogramm Flugsicherheit für den Flugplatz zu entwerfen. Diese soll von den Hauptversammlungen aller Vereine und allen Privatpiloten als verbindlich angenommen werden. Um in Melle ein Safety II dauerhaft einzuführen und zu betreiben, wird der Flugplatz Melle ein Team von ca. 5 PilotInnen zu Sicherheits-Trainerinnen (Safety Coaches) ausbilden lassen. Diese Ausbildung umfasst ca. 100 Stunden Ausbildung in Flugsicherheit. Erfreulich war, dass sich noch während des Kurses selbst junge Pilotinnen hierfür bereit erklärt haben Damit die Arbeit der Safety Coaches auch verstanden, im Verein angenommen und umgesetzt werden kann, wurde vereinbart die Fluglehrer in Melle sowie die Vereins-Funktionäre in Safety II ausbilden zu lassen. Für die Fluglehrer ist geplant, dies im Rahmen ihrer obligatorischen Weiterbildungen im Landesverband im Herbst 2023 einzubauen. Die Safety Coaches beginnen ihre Ausbildung mit Online Unterricht bei FLYTOP.

Als ein Nachfolgeprojekt für den zusammen erarbeiteten ersten SMS-Arbeitszyklus wurde einen „Safety Event“ vor Saisonbeginn 2024 vereinbart. Das FLYTOP Team hat zugesagt, diesen „Safety Event“, der unter Leitung der bis dann ausgebildeten Safety Coaches aus Melle stattfinden soll, im Hintergrund zu begleiten.

___________________________________


[1] Safety Management, Annex 19 to the Convention on International Civil Aviation, firs Edition, July 2013

[2] Swenson, H. : The FLYSAFE project in Sweden, proc. OSTIV Safety Conference, Wasserkuppe, 2017

[3] https://ostiv.org/newsdisplay/ostiv-prize-awarded-to-prof-dr-alfred-ultsch.html